Editorial

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Die berauschende Wirkung von Waffen

Im Zweikampf ist der Bär unbestrittenermassen stärker als der Mensch.
Bekommt der Mensch allerdings eine Waffe in die Hand, fühlt er sich überlegen. Ein simples Gewehr genügt, um seine Unterlegenheit zu kompensieren und führt bei ihm zur Überzeugung, dass er nicht nur den pelzigen Sohlengänger oder seinen schlimmsten Feind, sondern schlicht jeden, der sich ihm in den Weg stellt, mit einem Schuss erledigen kann. Und schon setzt der Mensch die Waffe ein.

Die Suggestivwirkung von Waffen und das damit verbundene Machtgefühl wecken archaische Urinstinkte im menschlichen Gehirn.

Allerdings ist auch die Erkenntnis nicht neu, dass sich die Waffen früher oder später gegen denjenigen richten, der sie einsetzt: «...denn wer das Schwert ergreift, der wird durchs Schwert umkommen » (Mt 26,52). Und trotz dieser Tatsache zeigt sich der Mensch lernresistent.

Waffen sind beständig und dauerhaft; sie behalten ihr Schadenspotential und lassen sich weiterverkaufen oder verbreiten und vermehren sich angesichts der allein im Jahr 2022 in die Rüstung investierten 2000 Milliarden Dollar explosionsartig. Seit Januar 2023 ereigneten sich in den USA dementsprechend bereits mehr als 30 Massenschiessereien…

Die Vorstellung, Waffen seien neutral oder ein notwendiges Übel und nur ihr Gebrauch sei gut oder schlecht, ist fatal. Sie ignoriert, dass die blosse Existenz von Waffen zu verhängnisvollen Handlungen und zu unumkehrbaren Taten verführt und dass die verfügbare Menge an Waffen, ihre Anziehungskraft zusätzlich verstärkt.

Die Unabhängigkeit der Ukraine war Putin offenbar ein Dorn im Auge und sie liess in ihm - unter dem Eindruck seines Waffenarsenals - den Entscheid reifen, den Lauf der Geschichte seines Landes und nicht zuletzt auch seine eigene Geschichte mit Waffengewalt zu beeinflussen. Es ist fraglich, ob Putin ohne greifbares Waffenarsenal zum gleichen Entschluss gekommen wäre. Hätte er sich doch bloss einen Moment von seinen Militärparaden abgewandt und in die Lektüre seines Landsmanns Tolstoi vertieft, so wäre er bestimmt auf folgende Zeilen gestossen:

«Wie oft schon haben 5 000 Mann beseelt im Glauben, 30 000 Kämpfern Widerstand geleistet...?» Wo bleibt der Platz der Wissenschaft bei all den ungezählten Unwägbarkeiten und Unsicherheitsfaktoren? (Krieg und Frieden, Band II).

Wie aber ist die verhängnisvolle Macht der Waffen zu stoppen? Jesaja verheisst: «Sie machen ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spiesse zu Sicheln» (Jes 2,4). Waffen müssen zu Gegenständen mit friedfertiger Zweckbestimmung werden, zu Werkzeugen, die inspirieren statt zu vernichten. Die Verwandlung des Waffenarsenals bildet das Fundament für die Neugestaltung unserer Zivilisation.

Ist dieser Rüstungsexzess mit 2000 investierten Milliarden tatsächlich die einzige Lösung? Am 24. Februar riefen die christlichen Kirchen in der Schweiz zum gemeinsamen Gebet und haben sich in ihren Fürbitten für vergleichbare Summen zur Friedensförderung ausgesprochen.

Pierre-Philippe Blaser
Synodalratspräsident

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