2.4.3.2

Seelsorge in Empfangsstellen für Asylsuchende: Leitbild
2.4.3.2
Evangelisch reformierte Kirche des Kantons Freiburg

Leitbild für die Seelsorge in den Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes für Asylsuchende und in den Transitzonen der Flughäfen

(Seelsorge in Empfangsstellen für Asylsuchende: Leitbild)
vom 27. November 2003
Schweizer Bischofskonferenz SBK
Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK
Christkatholische Kirche der Schweiz
Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund SIG
VORWORT
2.4.3 Die Rahmenvereinbarung für die regionalen Seelsorgedienste in den Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) für Asylsuchende vom 12. Dezember 2002 stipuliert: "Die Kirchen und der SIG geben sich im Hinblick auf die Ausübung seelsorgerischer Tätigkeit in den EVZ ein gemeinsames Leitbild." (vgl. Rahmenvereinbarung Art. 2.3) Das vorliegende Leitbild wurde von den Kirchen und dem SIG in Erfüllung dieser Verpflichtung ausgearbeitet. Das Leitbild basiert auf den Werten der jüdisch-christlichen Tradition. Es ist offen für andere Religionen, Kulturen und Traditionen. Es stimmt mit den Grundsätzen der Leitlinien der ökumenischen Seelsorgedienste an den Empfangsstellen und Flughäfen vom Jahr 1999 überein.

Empfangsstellen und Flughafen-Seelsorgedienste sind lernende Organisationen, die sich laufend den neuen Richtlinien anpassen müssen. Seelsorge muss sich immer wieder auf ihre ethischen Ansprüche hin überprüfen lassen. Dieses Leitbild soll daher nach einer durch die Vertretenden der Kirchen und des SIG im EVZ-Ausschuss fest zu legenden Frist einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
VISION
Gastfreundschaft: Hinwendung zum Mitmenschen
Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, das in den meisten Religionen und Kulturen einen besonderen Stellenwert einnimmt. Für Juden, Christen und Muslime ist Abraham – der das Zeichen des gelebten Glaubens ist – das Urbild der Gastfreundschaft, die er bei der Aufnahme der Fremden in Mamre vorgelebt hat, als er sagte: "Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, gehe doch an deinem Diener nicht vorbei." (Gen. 18,3). Gastfreundschaft ist ein Akt von gegenseitigem Respekt und Achtung, die sowohl vom Gastgeber wie auch vom Gast gelebt werden müssen.

Die Erzählung von Abraham, der den Fremden aufnimmt bringt ausserdem zum Ausdruck, dass die menschliche Begegnung ein Ort der Offenbarung und Gegenwart Gottes werden kann. Den Anderen aufnehmen heisst, sich öffnen für den Besuch Gottes, im menschlichen Antlitz einen Ruf von anderswo entdecken. "Vergesst die Gastfreundschaft nicht. So haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt", erinnert der Brief an die Hebräer (Hb 13,2). In diesem Sinne ist die Gastfreundschaft auch Kontemplation und Gebet.

Auf diesem Hintergrund verstehen wir, der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, die Schweizerische Bischofskonferenz, die Christkatholische Kirche der Schweiz und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, Seelsorge an den Empfangsstellen und Flughäfen als Hinwendung zum Mitmenschen, für die nachfolgend formulierte Grundsätze zu gelten haben.
FOLGERUNGEN FÜR DIE SEELSORGE
Gesprächsbereitschaft

a)

Seelsorge als Hinwendung zum Mitmenschen erfordert von den Seelsorgenden die Bereitschaft und die Offenheit zum Gespräch mit allen Menschen, besonders auch gegenüber Menschen in Not oder die sich aus andern Gründen nicht ausdrücken können, unabhängig welcher Religion oder Kultur sie angehören.


b)

Seelsorge bedeutet, den Andern annehmen so wie er ist, um ihn zu begrüssen und zu begleiten. Die Asylsuchenden, denen die Seelsorgenden begegnen, sind in der kurzen Zeit des Zusammentreffens als Gäste zu betrachten.


c)

Seelsorge heisst, den Andern anhören, ihn ernst nehmen, selbst wenn es uns schwer fällt, ihn zu verstehen. Die Seelsorgenden zeigen damit, dass sie bereit sind, dem Asylsuchenden beizustehen und laden ihn ein, sich ihnen mit seinen Sorgen zu öffnen.

Aufmerksamkeit für alle Bedürfnisse

d)

Den Mitmenschen ernst nehmen, heisst, den Menschen als Ganzes zu verstehen. Seelsorge geht ein auf die geistig-seelisch-körperlichen Bedürfnisse des Menschen. Die seelischen Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie die körperlichen. Seelsorgende gehen darauf ein, dass Menschen in verschiedenen Religionen und Kulturen seelische und körperliche Nöte im Gebet ausdrücken.


e)

Seelsorge informiert und ermutigt die Asylsuchenden, ihr Bewusstsein zu stärken, damit sie sich in einer fremden Welt besser orientieren und entscheiden können. Seelsorge bringt sie je nach ihren Wünschen und Bedürfnissen mit andern Menschen oder Organisationen in Verbindung.


f)

Seelsorge ist ein sehr vielfältiger Dienst. Dazu gehört das Wahrnehmen und Weiterleiten von verschiedensten Bedürfnissen. Deshalb pflegen die Seelsorgenden auch Kontakte innerhalb und ausserhalb der EVZ. Sie vernetzen sich beispielsweise pro-aktiv mit der Leitung der sowie mit den anderen Akteuren in den EVZ, mit den Rechtsberatungsstellen und Anlaufstellen für Asylsuchende, mit Asyl- und Sozialfürsorgestellen, mit Rückkehrberatungsstellen, mit Kirchen oder religiösen Organisationen (vgl. auch Rahmenvereinbarung Art. 2.4).

Verantwortlichkeit stärken

g)

Seelsorge heisst, dass Asylsuchende in ihrer Eigenverantwortung und ihrem Selbstvertrauen gestärkt werden und der Respekt vor der Persönlichkeit gefördert wird.


h)

Seelsorge bedeutet, dass man als Seelsorgende vertraut wird mit dem, was Menschen erlebt haben und jetzt erleben und man als kritischer Zeuge von seinem Glauben her sich einsetzt für Menschen in ihren konkreten Situationen und Schwierigkeiten.


i)

Seelsorge ist vertraulich auszuüben. Der Seelsorgende untersteht der gesetzlichen Schweigepflicht (nach Art. 32. Abs. 1 StGB).

ANFORDERUNGEN AN DIE SEELSORGENDEN
Aus- und Weiterbildung

j)

Neben der Ausbildung als Seelsorgende ist die Weiterbildung in interkultureller Begleitung, im Asylverfahren und Asylwesen in der Schweiz und auf europäischer Ebene Grundvoraussetzung für die Seelsorge in Empfangsstellen und Flughäfen. Zusätzlich ist die Erfahrung im Fremdsein (z. B. Auslandsaufenthalt) wünschenswert. Ebenfalls wichtig sind Fremdsprachenkenntnisse.

Kommunikation

k)

Seelsorgende und die Leitung der EVZ sind gegenseitige Ansprechpartner. Gegenüber Behörden und staatlichen Organen pflegen sie einen kooperativen Umgangsstil. Die Seelsorgenden legen Anliegen, die unter diesen PartnerInnen nicht einer einvernehmlichen Lösung zugeführt werden, den jeweiligen Vertretenden der Kirchen und des SIG im EVZ- Ausschuss vor.

Zusammenarbeit

l)

Die Seelsorgenden arbeiten zusammen. Sie treffen sich dazu regelmässig auf gesamtschweizerischer Ebene. Die Ziele dieser Treffen sind vor allem: Austausch von Erfahrungen, Schwierigkeiten und Fragen; gegenseitige Ermutigung und kritisches Hinterfragen; gemeinsame Arbeit an Themen und wichtigen Punkten betreffend Seelsorge (u. a. zu theologischen, ethischen und asylpolitischen Grundfragen).

Beschlossen am 27. November 2003 in Fribourg, Änderungen genehmigt am 29.10.2009
Die Delegierten der Kirchen und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes im Gemeinsamen Ausschuss EVZ-Seelsorge:

Felix Gmür, Generalsekretär SBK
Harald Rein, Bischof der Christkath. Kirche der Schweiz Gabrielle Rosenstein, Mitglied der Geschäftsleitung SIG
Christina Tuor-Kurth, Leiterin des Instituts für Theologie und Ethik, SEK